Scherenmesserwechsel in unter 1 Minute

Produktionsstillstände bei Konti-Bandanlagen aufgrund eines unvorhergesehenen Scheren-Messerwechsels sind nicht nur kostspielig, sondern auch mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden. Ungeplante Nacharbeiten, Qualitätseinbußen, hohe Schrottmengen und Unzufriedenheit sind die Folge. Die hpl-Neugnadenfelder Maschinenfabrik GmbH hat sich dieser Aufgabe angenommen und in Kooperation mit Risse + Wilke Kaltband GmbH & Co. KG, einem renommierten Hersteller von vergütetem Bandstahl, eine Schnellwechselschere entwickelt, die sich durch Präzision, einfache Bedienung und eine kompakte Bauform auszeichnet.


AUSGANGSSITUATION IM WERK ISERLOHN

Ein Kernprodukt der Risse + Wilke Kaltband GmbH & Co. KG ist unter anderem die Produktion von bleifrei vergütetem Kaltband, das z.B. zur Herstellung von qualitativ hochwertigen Sägeblättern verwendet wird. Die hier eingesetzten Stahlbänder müssen für den anspruchsvollen Einsatz einer besonderen Vergütung unterzogen werden, durch die sie eine hohe Festigkeit und Härte erlangen. Nach dem Durchlauf durch den Vergüteofen werden sie an der nachgeschalteten Querteilschere abgetafelt und als Blechzuschnitte an den Kunden zur weiteren Bearbeitung geliefert.

Das Abtafeln des vergüteten Stahlbandes beansprucht die Querteilschere aufgrund der extremen Härte des zu schneidenden Materials über das übliche Maß hinaus. Neben dem Verschleiß besteht deswegen abhängig von der zu schneidenden Tafellänge und dem daraus resultierenden Schneidzyklus im Produktionsprozess auch das Risiko eines Messerausbruchs. „Diesen gilt es unverzüglich zu beheben“, betont Roland Pudelko, Produktionsleiter der Wärmebehandlung bei Risse + Wilke. Unverzüglich bedeutet im Iserlohner Werk eine Zeit von max. 7 Minuten, bis die vor der Schere positionierte Schlingengrube vollgelaufen ist und zu einem Bandlaufstopp innerhalb des Vergüteofens führt. „Steht das Band“, so Roland Pudelko, „ist die gesamte Bandlänge innerhalb des Ofens nicht mehr nutzbar und muss verschrottet werden.“  Im Iserlohner Werk entspricht dies einer Bandlänge von bis zu 60 m.

Messerausbrüche sind im Produktionsprozess leider keine Seltenheit. Die beim Schneiden entstehenden Mikrospäne können unbemerkt in den Schnittspalt geraten und die voreingestellte Schnittlufteinstellung negativ beeinflussen. „Als Resultat erhalten wir Schneidgrate sowohl am Messer als auch am zu schneidenden Bandmaterial. Mit den hohen Qualitätsansprüchen an das von uns vorbehandelte Material ist dies nicht vereinbar“, definiert Pudelko die betriebsintern vorgegeben Qualitätskriterien.

Es galt eine Lösung zu finden, mit der die Scherenmesser innerhalb kürzester Zeit gewechselt werden können. Gleichzeitig sollte weiterhin eine präzise Schnittlufteinstellung gewährleistet sein, um den am Markt geforderten Bandqualitäten zur weiteren Bearbeitung zu entsprechen. Vorgaben, auf die Roland Pudelko sehr viel Wert legt. „Risse + Wilke agiert im Bereich von kaltgewalztem Bandstahl als Problemlöser am Markt und verspricht seinen Kunden qualitativ hochwertige Tafelzuschnitte. Wir verarbeiten Bänder aus Stahl von 0,2 – 6,20 mm Dicke und 20 – 725 mm Bandbreite. Unsere Kunden verlassen sich darauf, dass wir sämtliche Materialabmessungen 'just-in-time' mit einer konstant hohen und gleichbleibenden Qualität ausliefern. Messerwechsel mit einer Dauer von bis zu maximal 6 Stunden waren hierfür nicht länger hinnehmbar“, beschreibt Roland Pudelko die Aufgabenstellung.
 

VON DER IDEE ZUR (SONDER-)LÖSUNG

Mit der Grundidee eines Scherenwechsels mittels einer Doppelwechselkassette trat Roland Pudelko bereits im Jahr 2018 an renommierte Scherenhersteller heran. In diversen Gesprächen stellte sich jedoch heraus, dass mit den von Pudelko definierten Anforderungen eines Scherenmesserwechsels unter 7 Minuten bei gleichzeitiger präziser Schnittspalteinstellung eine Lösung „von der Stange“ nicht so einfach umsetzbar war.

Da der zur Verfügung stehende Bauraum sehr begrenzt war und Roland Pudelko eine einfache Lösung favorisierte, die keine zusätzlichen hydraulischen, pneumatischen oder elektrischen Nebenaggregate erforderte und sich zudem problemlos in die vorhandene Anlagenperipherie integrieren ließ, wandte er sich auch an die hpl-Neugnadenfelder Maschinenfabrik GmbH. Als Hersteller der Bandlauftechnik für die vorhandene Vergütelinie kannte hpl die Qualitätsanforderungen des Iserlohner Werkes genau und konnte zusammen mit Roland Pudelko eine Lösung erarbeiten, die den Bedürfnissen des Kunden exakt entsprach und auf den zur Verfügung stehenden Bauraum realisiert werden konnte.

Während der Konstruktionsphase haben Risse + Wilke in Person von Roland Pudelko und hpl eng zusammengearbeitet, da Herr Pudelko sowohl die Anforderungen an die Materialqualität als auch die Anforderungen und Erfahrungen des Bedien- und Wartungspersonals detailliert kennt und diese Kenntnisse ebenfalls mit in die Entwicklung einfließen lassen wollte. So wurde das Grundprinzip der Doppelwechselkassette vollumfänglich von hpl aufgenommen und sukzessive optimiert. Erste Überlegungen, die Wechselkassette mittels eines Wagens zu verfahren, wurden schnell verworfen und durch einen fest angebundenen Schwenktisch ersetzt. Das Risiko eines Kippens der massiv ausgelegten Scherenkassette mit einem Gewischt von 1,5 Tonnen wurde durch diese Konstruktion verhindert. 

Um eine hohe Reprozierbarkeit der Scherenposition/-ausrichtung zum Band für die zwei Messerkassetten zu gewährleisten, wurden außerdem passgenaue Zentrierdorne während der Entwicklungsphase in die Aufnahmevorrichtung integriert.

Sämtliche Überlegungen seitens hpl wurden von Roland Pudelko auf den Einsatz im Iserlohner Werk und die dort vorhandenen Gegebenheiten geprüft und gemeinsam abgestimmt. Nach dreimonatiger Konstruktions- und Entwicklungsphase entstand ein Produkt, dessen Funktion sich in wenigen Worten beschreiben lässt:
#solide #kompakt #präzise #schnellbedienbar #Problemgelöst

Während des Produktionsbetriebes ist eine der beiden Kassetten im Einsatz, die zweite befindet sich auf dem Schwenktisch, der parallel zum Bandlauf ausgerichtet ist. Bei einem Messerwechsel wird der Tisch um 90° quer zum Bandlauf geschwenkt. So kann die erste Kassette aus dem Scherenständer heraus- und die zweite, mit neuen Messern präzise voreingestellte Kassette in ihn hineingeschoben werden. Dieser Vorgang dauert nur wenige Sekunden, nach weniger als einer Minute geht die Linie wieder in den normalen Produktionsbetrieb über.

Der eigentliche Messerwechsel an der Kassette erfolgt am Schwenktisch, der wieder in seine Parkposition zurückgeschwenkt ist. Günter Veldmann, Projektleiter bei hpl, sieht hohen Nutzen für seinen Kunden: „Die Wechselkassette war auch für uns ein echtes Novum. Mit der Doppel-Wechselkassette haben die Bediener viel Zeit, die Messer zu wechseln und sie präzise einzustellen. Und wir schaffen Sicherheit, denn niemand braucht unter Zeitdruck direkt im Scherenständer zu arbeiten.“

Der Schnittspalt kann über zwei Exzenter stufenlos zwischen 0 und 1 mm mit einer Präzision von 1/100 mm genau eingestellt werden. Dank der geringen Gesamtbreite kann die Schere sehr einfach auch nachträglich in vorhandene Bandbehandlungslinien integriert werden.
 

DIE BILANZ

In knapp 12 Monaten von der Bestellung bis zur Inbetriebnahme im Werk Iserlohn haben Risse + Wilke und hpl in enger Kooperation eine Konstruktion entwickelt, die sich durch die geforderte Einfachheit und solide Bauform auszeichnet, gleichzeitig aber die gewünschte Präzision bei der Schnittspalteinstellung und einen Messerwechsel in unter einer Minute gewährleistet.

Nach mittlerweile sechsmonatigem Betrieb hat sich bereits bestätigt, dass sich die intensive Entwicklungsarbeit vollumfänglich ausgezahlt hat. Durch die neue Schnellwechselschere wurde nicht nur die Produktivität der Vergüteanlage gesteigert, auch die Zufriedenheit der eigenen Mitarbeiter ist seitdem deutlich gestiegen. Bedeuteten ungeplante Messerwechsel in der Vergangenheit oftmals auch das Abrufen der Instandhalter während des Wochenendes, können die Instandhalter heute während ihrer eingeteilten Schicht die in der Warteposition stehende Kassette in aller Ruhe vorbereiten und etwaige Produktionsstillstände vorbereitend ausschließen. Messerwechsel vor dem verdienten Feierabend gehören im Iserlohner Werk heute der Vergangenheit an. 

Die Einführung der neuen Schnellwechselschere bringt auch für den Endkunden der Firma Risse + Wilke Kaltband GmbH & Co. KG zusätzliche Vorteile. Agierte das Unternehmen im Wärmebehandlungsbereich bereits vorab auf einem sehr hohen Qualitätsniveau, führen die im vorliegenden Anwenderbericht beschriebenen Prozess- und Handhabungsoptimierungen auf der Basis einer engen Zusammenarbeit am Produkt zu einer kontinuierlich ansteigenden Produktivität im gesamten Werk. Risse + Wilke Kaltband GmbH & Co. KG hat mit der Entwicklung dieses innovativen Produktes einmal mehr bewiesen, dass ihre Kunden als geschätzte Partner gesehen werden, für deren Zufriedenheit kontinuierlich in die Optimierung der Produktqualität investiert wird.

Insgesamt hat die neue Schnellwechselschere viele Abläufe im Werk harmonisiert und flexibler gemacht, denn durch die präzise Schnittspalteinstellung und die zur Verfügung stehende Mehrzeit kann Risse + Wilke eine flexiblere Produktmatrix fahren und muss nicht länger die Aufträge nach der zu schneidenden Banddicke einteilen. Der reduzierte Handlingaufwand hat auch zur Folge, dass für den Betrieb der Schnellwechselschere weniger erfahrene und geschulte Instandhalter zur Verfügung stehen müssen.
 

MEHRWERT, DER ZÄHLT

Die Kosten für die Schnellwechselschere werden sich innerhalb von zwei Jahren amortisieren und die Schere ist es wert“, erklärt Roland Pudelko. „Ursprünglich hatten wir für den Messerwechsel eine Dauer von weniger als fünf Minuten angestrebt. Diesen Wert hat hpl weit unterboten: Nach nur einer Minute nehmen wir die Produktion wieder auf. Das heißt für uns, dass wir mehr verkaufsfähiges Band produzieren.“

Herr Heß und Herr Pollok, Bediener an der Vergüteanlage, ergänzen begeisternd: „Messerwechsel in Konti-Anlagen sind stets mit Zeitdruck verbunden. Durch die neue Schnellwechselschere gehört dieser Druck der Vergangenheit an und sorgt für ein entspannteres Arbeiten. Positiv zu erwähnen ist auch die einfache Handhabung. Durch die leichtläufigen Rollen des Schwenktischs bemerkt man kaum, dass man gerade 1,5 Tonnen Gewicht verschiebt. Auch zeichnet sich die neue Schere durch einen im Vergleich zu den anderen im Werk betriebenen Scheren signifikant geräuschärmeren Betrieb aus.“

Gründe, die für sich sprechen und bereits sechs Monate nach Inbetriebnahme nahelegen, den Einsatz der Schnellwechselschere weiter auszubauen. So wird aktuell der Einbau einer weiteren Schnellwechselschere an der parallel verlaufenden Vergütelinie geplant, damit auch diese Anlage zukünftig produktiver und effizienter eingesetzt werden kann.

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